Das angestammte Geschäft mit Energie steht unter Druck. Dienstleistungen rund um die Energie dagegen boomen. In welche Richtung soll es für die Energieversorger gehen? Dr. Christoph Ullmer, Leiter Thüga-Kompetenzcenter Innovation, und Dr. Arne Geiger, Leiter Kompetenzteam Vertrieb und Marketing, ordnen die Veränderungen im Markt ein und sagen, wie die Thüga unterstützen kann. 

Das Geschäft mit Erdgas wird absehbar zu einem Ende kommen. Dafür steigen die Pro-Kopf-Stromverbräuche, Wasserstoff kündigt sich als Ersatz für Erdgas an. Also alles halb so wild?  

Christoph Ullmer: Die Kunden werden weiter heizen und Strom verbrauchen. Aber ob Energie über Wärmepumpen, Biogas oder Wasserstoff kommt und wer die dazugehörigen Lösungen von der Erstberatung über die Hardware und die Handwerkerstunden bis hin zu Wartung und Service erbringt oder die Energielieferungen übernimmt, das ist offen. Der Markt ist in Bewegung. Es sind die langfristigen Lieferverträge, die unter Druck kommen, sowohl auf der Gas- als auch auf der Stromseite. 

Arne Geiger:Im Gegenzug zu den erwartbaren Rückgängen bei Erdgas steigen die Umsätze bei den Energiedienstleistungen deutlich an. Beim Absatz von PV-Anlagen, Batteriespeichern und Balkonkraftwerken übertrafen die Stückzahlen im ersten Halbjahr 2023 schon die Zahlen des gesamten Jahres 2022. Da wirkt zwar noch die Energiekrise aus 2022 nach und die Entwicklung wird so dynamisch kaum weitergehen. Dennoch ist unsere klare Empfehlung, sich mit den Dienstleistungen rund um die Energie zu beschäftigen. 

vl.: Dr. Arne Geiger, Leiter Kompetenzteam Vertrieb und Marketing, Dr. Christoph Ullmer, Leiter Thüga-Kompetenzcenter Innovation. Foto: Thüga / Markus Hirner

Gibt es dafür einen Masterplan?  

Ullmer: Es wird keinen Standard-Transformationsplan für die Wärme- und Energiewende geben. Dafür sind die Voraussetzungen lokal zu unterschiedlich. 

Geiger: Die gute Nachricht ist, dass viele neue Geschäftsmodelle rund um die Energie gar nicht so neu sind. Unsere Partnerunternehmen haben schon vielfach Erfahrungen mit Wallboxen, PV-Anlagen, Speicherlösungen und Wärmepumpen bis hin zum Wärme-Contracting, also das Verkaufen von Wärme statt der einzelnen technischen Lösung. Auf diese Erfahrungen lässt sich aufbauen. 

Es geht also im ersten Schritt gar nicht um die eine neue Service-Idee, mit der sich der Markt aufrollen lässt? 

Geiger: Intelligent fokussieren, das lokale Umfeld strukturieren und die Möglichkeiten, die sich bieten, so skalieren, dass sich damit wirklich Geld verdienen lässt: So lässt sich die Handlungsempfehlung einmal grob skizzieren … was nicht heißt, dass es einfach ist. 

Ullmer: Derzeit etablieren sich Akteure wie 1Komma5°, Enpal oder Thermondo, unter denen eine Art Goldgräberstimmung ausgebrochen ist. Diese Unternehmen versuchen, überregional Menge zu machen. Dazu bieten sie oft nicht ungeschickt Standard-Pakete an und sind online gut aufgestellt. Das Geschäft mit den Dienstleistungen rund um die Energie wächst, aber die Margen geraten auch hier durch die zunehmende Konkurrenz unter Druck. Obwohl die jungen, überregional agierenden Unternehmen derzeit mit viel Dynamik im Markt unterwegs sind, müssen auch sie für die Realisierung ihrer Projekte oft mit lokalen Partnern zusammenarbeiten. Abweichungen vom Standard und maßgeschneiderte Lösungen sind oft nicht ihr Metier. Hier können unsere Partnerunternehmen ansetzen. 

Ist die zuverlässige Projektrealisierung vor Ort der Schlüssel für Erfolg?  

Geiger: Das Fulfillment ist ein eigenes Thema. Und die Frage, ob das Unternehmen eigene Handwerkskapazitäten aufbaut oder mit Partnern vor Ort eng zusammenarbeitet, hängt wiederum sehr stark von den Bedingungen vor Ort ab. Es kann ein Modell sein, im Projekt die gesamte Kundensteuerung und Angebotserstellung zu übernehmen, während die Handwerksbetriebe das machen, was sie am besten können. Aber wir haben auch Partner in der Gruppe, die eigene Kapazitäten aufgebaut haben – und ganz erfolgreich mit ihrem guten Namen und der größeren Unternehmensstruktur mit dem lokalen Handwerk um die raren Arbeitskräfte konkurrieren.  

Ullmer: Vonseiten der Thüga können wir bei vielen Fragen rund um die Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort helfen, etwa bei der Vertragsgestaltung. Auf jeden Fall kann das Stärken der lokalen Netzwerke mit Ingenieurbüros oder Handwerksbetrieben ein Weg in Richtung Zukunft sein. 

Geiger: Im ersten Schritt stellt die Thüga profundes Datenmaterial zur Verfügung, um den Markt überhaupt überblicken zu können. Unsere Muster-Marketingunterlagen bieten ebenfalls Hilfestellung zur erfolgreichen Positionierung als Lösungsanbieter. Auch beim gemeinsamen Einkauf sind wir unterwegs, um Preis- und Liefervorteile herauszuarbeiten.  


Dr. Matthias Cord ist stellvertretender Vorsitzender des Thüga-Vorstands. Foto: @astridobert.com/Thüga

Dr. Matthias Cord: „Ergebnisse vervielfachen“  

„Die Thüga-Partnerunternehmen planen, ihren Ergebnisanteil aus dem Lösungsvertrieb in den kommenden Jahren zu vervielfachen. Der Wettbewerbsdruck ist groß aber: Die Energie- und Wärmewende findet vor Ort statt. Und wer kennt seine Kundschaft besser als die Stadtwerke und regionalen Energieversorger der Thüga-Gruppe? Um diese noch effektiver strategisch bei der Weiterentwicklung dieses Geschäftsfelds zu begleiten, erweitern wir die Unterstützungsleistungen der Thüga kontinuierlich: Aktuell bereitgestellte Informationen zu Markt, Wettbewerb und Fördermitteln schaffen die Grundlage für einen erfolgreichen Lösungsvertrieb. Thüga-Musterprodukte sorgen für eine effiziente und rechtssichere Umsetzung und Rahmenverträge mit Händlern und Herstellern für Materialverfügbarkeit und Preisvorteile“.


Insgesamt gehen die Thüga-Unterstützungsleistungen über Informationsbeschaffung, Erfahrungsaustausch oder gemeinsamen Einkauf hinaus... 

Geiger: Es gibt eine Reihe von konkreten operativen Unterstützungsleistungen, auf die Unternehmen in der Gruppe zurückgreifen können. Dazu gehören die White-Label-Lösungen für Mini-Photovoltaik-Anlagen – Solarista –, die die Energieversorgung Mittelrhein als affiliate Lösung anbietet. Auch die Ausgründung von Smart-Living-Hub (SLH) gehört dazu. Die Kolleginnen und Kollegen von SLH bieten für die Partnerunternehmen Frontend-Anwendungen auf Salesforce-Basis an. 

Ullmer: Ein weiterreichendes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die entstehende TAP-Plattform. Sie ermöglicht genau diese Skalierungseffekte, von denen Herr Geiger schon gesprochen hat: als regionaler Akteur von den überregionalen Entwicklungen und von strukturierten Prozessen profitieren. In einer nächsten Ausbaustufe kann die Abrechnungsplattform auch Geschäfte mit Energiedienstleistungen abbilden. Eine gute Möglichkeit zur Straffung der Einzelaufwände in diesem Geschäftsfeld. 

Was ist mit den kommenden intelligenten Messsystemen? Inwiefern stecken hier noch Umsatzpotenziale?  

Geiger: Ja, die werden kommen und mit ihnen auch flexible Stromtarife. Inwieweit aber private Kunden ihre Verbräuche wirklich stark verlagern können, um in grundsätzlich abnahmeschwachen Zeiten von günstigen Tarifen profitieren zu können, hängt wiederum stark von der jeweils kundenindividuellen Situation ab. 

Ullmer: Bei Wallboxen für E-Autos kann das interessant sein. Es lassen sich auch Speicherlösungen für die Aufdach-PV-Anlage nutzen, um dann Strom zu „tanken“, wenn der Preis niedrig ist. 

Die entstehende Intelligenz im Netz ist auf jeden Fall nicht der geschäftliche Heilsbringer?  

Ullmer: Aus der Netzperspektive ergeben sich neue Möglichkeiten der Planung und Steuerung. Darin stecken theoretisch große Effizienzgewinne, keine Frage. Auch was die zukünftigen Geschäftsmodelle anbelangt, gibt es Potenzial. Das hängt einmal mehr stark an den Bedingungen vor Ort. Um das sauber zu strukturieren und strukturiert nach vorn zu entwickeln, dafür stehen wir als Thüga mit unserem Know-how gern zur Verfügung. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Bereich der Einfluss der Regulierung.