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Stadtwerke setzen bei der Beschaffung auf Sicherheit statt Spekulation. Jens Dammer, Bereichsleiter Vertrieb & Energieeinkauf bei Energie Schwaben, erläutert im Interview, wie sie Risiken minimieren und Preissprünge abfedern.
Interview: Volker Joksch
Welche Einkaufs-Strategie verfolgen Sie?
Wir versorgen eine vergleichsweise große Zahl von Kunden. Die bringt eine gesunde Mischung in der Kundenstruktur mit sich, deren Verbräuche wir stabil vorhersagen können. Das gibt uns die Chance, Mengen verlässlich langfristig einzukaufen. Aber auch wir müssen unerwartete Verbrauchsspitzen abdecken. Dafür bedienen wir uns kurzfristig an den Spotmärkten. Aber diese Mengen spielen für uns eine eher untergeordnete Rolle. Damit verfolgen wir insgesamt eine risikoarme Beschaffungsstrategie.
Was bedeutet das im Detail?
Wir streuen unsere Beschaffung typischerweise über mehrere Jahre. Mit Verträgen über Jahres- oder Monatsscheiben lassen sich allerdings kurzfristige Verbrauchsschwankungen nicht ausgleichen. Diese Schwankungen ergeben sich zum Beispiel zwischen sehr kalten und sehr warmen Tagen. Die Mengen, die an warmen Tagen übrigbleiben, lagern wir deshalb in unserem Gasspeicher ein. Diese Mengen stehen dann unabhängig vom Spotmarkt für unerwartete Verbrauchsspitzen zur Verfügung. Der Speicher funktioniert also wie eine Art Versicherung, wenn unerwartet hoher Verbrauch auf hohe Preise an Märkten trifft. Auch der Speicher kostet Geld, aber bis heute haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Für den Bereich Strom fällt die Möglichkeit zur Zwischenspeicherung weg. Der Stromverbrauch ist dafür auch deutlich weniger abhängig vom Wetter wie der Gasverbrauch.
Welche Rolle spielt die Thüga-Plusgesellschaft und Energiehandelsplattform Syneco bei der Risikostreuung?
Wir beschaffen Gas über mehrere Händler, auch um Ausfallrisiken zu minimieren. Syneco ist dabei für uns ein wichtiger Partner, sowohl was die Spotmärkte als auch was längerfristige Termingeschäfte anbelangt. Syneco bündelt Bedarfe mehrerer Stadtwerke und kann so Mengen günstiger
beschaffen. Außerdem erspart sie uns eigene Mitarbeiter, die den Markt quasi 24/7 im Auge haben, Entwicklungen vorhersehen und Risiken und Chancen noch genauer abschätzen können. Das betrifft auch die tägliche Glattstellung. Sie bedeutet, dass täglich Mengen, die weder verbraucht noch sinnvoll gespeichert werden können, wieder zurück an die Börse gebracht und dort weiterverkauft werden.
Gas- und Stromdiscounter verfolgen offensichtlich eine andere Einkaufsstrategie, bieten ihren Kunden aber oft billigere Preise. Was hat diese Unternehmen 2022 besonders in Bedrängnis gebracht?
Es gibt eine Reihe von Anbietern, die auf sinkende Preise spekulieren. Sie decken sich kurzfristig an Spotmärkten ein in der Hoffnung, dass die Preise dann günstig am Markt stehen. Das waren 2022 die ersten Unternehmen, die ihre Wiederverkaufspreise auf aktuelle Beschaffungspreise anheben mussten. Hier gab es im Verlauf des letzten Jahres in den Spitzen Preissteigerungen von mehr als 1.000 Prozent im Vergleich zum Vorkrisen-Niveau. Mit ihrer risikofreudigen Einkaufsstrategie konnten Discounter diese Preisaufschläge nicht puffern und waren zum Teil gezwungen, Konkurs anzumelden. Kund:innen mussten in die Grundversorgung der Stadtwerke wechseln.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Krisenjahr 2022?
Grundsätzlich hat sich unsere risikoarme Beschaffungsstrategie bewährt. Allerdings schauen wir nach 2022 mit anderen Augen auf die möglichen Preisrisiken. Um diese Risiken solide einordnen zu können, gibt es schon seit geraumer Zeit ein Risiko-Komitee. Hier sind wir bislang im Extrem-Szenario von einer Verdopplung der Preise und einer Halbierung der Liefermenge ausgegangen. Heute wissen wir, dass es weit dramatischer kommen kann. Wir werden also unsere Risikobewertung anschauen müssen. Das könnte unter anderem zur Folge haben, dass wir gegenüber größeren Unternehmenskunden bezüglich Abgabemenge und Preisgarantie weniger flexibel sein können, um mögliche Risiken möglichst gleichmäßig auf alle Schultern zu verteilen.
Ist eine Preisgarantie überhaupt noch möglich?
Für Endkund:innen hatten wir rund ein Jahrzehnt stabile Preise. Aber dann mussten auch wir erhöhen – seit 2021 insgesamt sechs Mal, für uns völlig untypisch. Auf die Grundversorgung und einem Referenzwert von 20 Megawattstunden umgerechnet bedeutet das für unsere Kunden eine Steigerung von rund 75 Prozent. Immer noch viel, aber weit unter den durchschnittlichen Marktpreisen, die 2022 teils fällig waren.
Die Bundesregierung hat mit der Verstaatlichung von Gazprom Germania und Uniper massiv in den Markt eingegriffen. Warum?
Der Ausfall von systemrelevanten Lieferanten war die große Befürchtung der Branche 2022. Hätten diese Lieferanten plötzlich nicht zu den vereinbarten Konditionen liefern können, hätte eine große Zahl von Stadtwerken Gas zu den damals aktuellen Marktpreisen beschaffen müssen. Die Folge wäre eine Preisexplosion gewesen, die ungebremst bis zu den Privat- und Geschäftskund:innen durchgeschlagen hätte. Eine kaum zu überschauende Pleitewelle sowohl bei Stadtwerken als auf Kundenseite wäre die Folge gewesen.
Auch der Gaspreisdeckel war und ist Teil dieser staatlichen Intervention. Ist das für die Stadtwerke eine Lizenz zum Gelddrucken?
Bis Ende 2023 gilt die Gaspreisbremse mit 12 Cent pro kWh brutto auf den Arbeitspreis für 80 Prozent der verbrauchten Menge. Unser Grundversorgungspreis liegt aktuell (im Januar 2023) für die Referenzmenge von 20.000 Kilowattstunden (kWh) Jahresverbrauch
bei 13,71 ct/kWh brutto. Ein Kunde mit diesem Tarif bekommt wegen der Preisbremse rund 275 € erstattet. Mit einer Garantie zum Gelddrucken für Stadtwerke hat das nichts zu tun. Die Preisbremse federt soziale Härten ab. In gewissem Umfang reduziert sie so auch die Quote der Zahlungsausfälle für die Stadtwerke.
Welche Preisentwicklung erwarten Sie für 2023/24?
Für 2023 erwarten wir, dass sich die Gaspreise in etwa auf das Niveau der Preisbremse einpendeln, kaum darunter. Auf das Vorkrisenniveau werden wir so schnell nicht kommen. LNG ist in der Handhabung deutlich aufwändiger als Gas aus einer russischen Pipeline. Außerdem können LNG-Tanker flexibel dorthin fahren, wo für die Produzenten die besten Preise, sprich die höchsten Preise erzielt werden können. Die Preisentwicklung in den asiatischen Märkten wird also jetzt noch stärker ins Gewicht fallen, als das bislang der Fall gewesen ist.