Die Thüga-Stabsstelle in Brüssel informiert frühzeitig über wichtige energiepolitische Entwicklungen. Ende März übergab Eva Hennig die Leitung an Martin Kaspar. Im Interview sprechen sie über ihre bisherigen Erfahrungen und zukünftige Entwicklungen.

Eva Hennig Foto: Jonathan Vahsen

Frau Hennig, Sie arbeiten seit 2010 in Brüssel, erst für den BDEW, sehr schnell dann für die Thüga. Jetzt gehen Sie in den Ruhestand. Wovon sind Ihre letzten Wochen in Brüssel geprägt?

So viel Wissen wie möglich weiterzugeben. Es findet nicht nur die Staffelübergabe an meinen Nachfolger Martin Kaspar statt. Denn ich war auch Mitglied – manchmal auch Vorsitzende – in vielen energiewirtschaftlichen Gremien; auch dieses Wissen will ich geordnet übergeben.

Unterscheidet sich die Stimmung in Brüssel 2010 und heute?

2010 empfand ich die Stimmung faktengetrieben, nicht so emo­tional und politisch aufgeheizt wie heute. Damals war es noch möglich, selbst mit Kontrahenten sachlich zu diskutieren.

Sie haben an vielen Themen gearbeitet. Welches ist Ihr Herzensthema?

Die Versorgungssicherheit Europas. Mögliche Angriffe auf Ener­gieinfrastrukturen nehmen zu und kommen näher. Umso wichti­ger ist es, sich mit der „Was-wäre-Wenn“ Frage zu beschäftigen. Und die Planungen für die Zukunft mit einem kontinuierlichen Realitätscheck zu begleiten und nicht nur auf politischen Zielen aufzubauen. Natürlich ist unser großes Ziel eine dekarbonisierte Welt; sie muss aber auch eine stabile und bezahlbare Welt sein.

Verändert sich die Stabsstelle in Brüssel durch den Stabwechsel?

Ich bin im Herzen immer Ingenieurin geblieben und sehr oft in komplexen Details unterwegs. Das war in den letzten 15 Jahren sehr sinnvoll und hat uns als Ansprechpartner und Vortragende bekannt gemacht. Die viel bessere politische Ausbildung und Erfahrung, die Martin Kaspar mitbringt, kommt jetzt aber genau zum richtigen Zeitpunkt.

Über 35 Jahre Thüga – fällt es Ihnen schwer, in den Ruhe­stand zu gehen?

Ich gehe mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich hatte bei Thüga sehr unterschiedliche und spannende Jobs. Dabei habe ich mit interessanten und engagierten Menschen an unter­schiedlichen Orten zusammengearbeitet, von Chemnitz über Ita­lien bis Brüssel. Mit vielen Kolleginnen und Kollegen im Haus und in den Partnerunternehmen bin ich heute befreundet. Die Thüga fühlt sich daher für mich wie eine große Familie an. Das Vertrauen und die Unterstützung, die mir auf allen Ebenen entgegengebracht wurden, waren phänomenal. Diese Gemeinschaft wird mir fehlen. Auf der anderen Seite konnte ich meine Familie oft nur am Wo­chenende sehen. Der Schritt jetzt fühlt sich daher gut an, und wir haben den Übergang generalstabsmäßig vorbereitet.

Martin Kaspar Foto: Jonathan Vahsen

Herr Kaspar, fühlen Sie sich für die Staffelübergabe in Brüssel vorbereitet?

Eva Hennig und ich arbeiten seit sechs Monaten in Brüssel eng zusammen. Das ist eine gute Zeit, um sich mit der Materie und den Menschen vor Ort vertraut zu machen.

Was waren die wichtigsten Tipps, die Sie von Eva Hennig erhalten haben?

Vor allem, welche Ansprechpartner in Brüssel wie ticken. Das ist von unschätzbarem Wert, denn das kann man nirgendwo nachlesen.

Was sind die größten Herausforderungen?
Die richtigen Themen zu erkennen und zu bespielen. Bei der Themen-Flut muss ich mir immer überlegen, welche davon die Thüga, ihre Partnerunternehmen oder die Kommunen betreffen. Meine Hauptaufgabe ist also, zu filtern und zu priorisieren. Zu entscheiden, was ich bewusst  unter den Tisch fallen lasse und was nicht.

Welchen Mehrwert hat Ihre Präsenz in Brüssel für die Thüga-Gruppe?
Ganz klar: einen Informationsvorsprung, mit dem ich die Thüga und die Partnerunternehmen in die Lage versetze, sich auf für sie relevante Entwicklungen vorzubereiten. In Gesprächen und bei Veranstaltungen erfahre ich vieles, was zwischen den Zeilen steht. Deshalb ist es wichtig, in Brüssel Präsenz zu zeigen.


Wie können Kommunen oder Partnerunternehmen dazu beitragen, dass Ihre Arbeit noch effizienter wird?
Sie können Praxisbeispiele vor Ort – mit unserer Unterstützung – nach Brüssel tragen. Dort interessiert man sich durchaus dafür, wie die beschlossenen Regelungen angewandt werden und auch, wo es Probleme gibt. Die Umsetzung findet vor Ort statt. Das weiß auch die Kommission. Unser Job kann es sein, diese Beispiele zu liefern und dadurch auch Änderungen in unserem Sinne anzuregen. Auch wenn das manchmal mühsam ist.

Was wird in den nächsten Monaten das schwierigste Thema sein?
Wir müssen die notwendigen Investitionen der Energiewende mit dem Ziel der wettbewerbsfähigen Preise für Industrie und Haushaltskunden in Übereinstimmung bringen. Klar ist: Deutschland muss unfassbar viel investieren. Die Netzentgelte von heute sind die Investitionen von morgen.


Haben Sie ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Das Vergaberecht. Weil es erhebliche Auswirkungen auf die Lebensrealität vor Ort haben kann. Ich war ehrenamtlicher Gemeinderat und habe in dieser Zeit mitbekommen, wie lange Verfahren dauern und wie teuer sie dadurch werden, obwohl der ursprüngliche Zweck des Vergaberechts war, ein möglichst günstiges Angebot zu erhalte.