Die Dekarbonisierung der Energieversorgung wird viel Geld kosten – von bis zu 600 Milliarden Euro an Investitionen bis 2030 ist die Rede. Den Großteil dieses Kapitals müssen die Unternehmen der Energiewirtschaft aufbringen. Was das für sie bedeutet, erklären Michael Kittelberger, Leiter Controlling, Finanzen & Rechnungswesen bei Thüga und Klaas Wolkenhauer, Leiter Finanzen & Nachhaltigkeitsmanagement.

Wird Ihnen bei den derzeitigen Aussichten – Transformation des Energiesystems und der enorme Kapitalbedarf – Angst und Bang?

Kittelberger: Nein. Wir stehen zwar vor einer großen Herausforderung. Aber die anstehende Transformation birgt auch die Chance, die Energieversorger für die künftige Generation fit zu machen und ihre Ergebnisse langfristig zu sichern. Es ist eine Gestaltungsaufgabe, die wir angehen und meistern werden.

Es ist viel von der Transformation die Rede – was ist mit der Versorgungssicherheit und den damit verbundenen Kosten?

Kittelberger: Versorgungssicherheit ist in jeder Sekunde die notwendige Nebenbedingung. Sie setzt auch Investitionen in Backup-Stromerzeugung voraus. Brückentechnologien wie Gaskraftwerke zur Stromerzeugung sind notwendig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und einen reibungslosen Übergang zur klimaneutralen Energieversorgung sicherzustellen. Das gehört alles unter die Überschrift Energietransformation.

@astridobert.com

von links: Klaas Wolkenhauer und Michael Kittelberger

Genießen Stadtwerke ein gutes Ansehen bei Fremdkapitalgebern, gelten sie immer noch als solide?

Wolkenhauer: Ja. Energieversorgung ist Grundversorgung, grundsätzlich stabil und wenig konjunkturabhängig. Kommunale Energieversorger sind seriöse, verlässliche Unternehmen – das haben sie vor allem in den letzten von Krisen geprägten Jahren bewiesen. Unabdingbar sind aber verlässliche politische Rahmenbedingungen als Grundlage für Investitions- und damit auch für Finanzierungsentscheidungen.

Welche Möglichkeiten zur Finanzierung haben Energieunternehmen außer den Banken?

Wolkenhauer: Partner im Bereich Fremdfinanzierung sind für die Unternehmen der Thüga-Gruppe aktuell und in näherer Zukunft primär die Banken, nicht der internationale Kapitalmarkt. Pensionskassen oder Versicherungen sind eine interessante Investorengruppe, die gerne langfristig in Infrastruktur investiert. Diese kann man sich über geeignete Instrumente wie Schuldscheindarlehen oder Namensschuldverschreibungenerschließen.

Haben alle Energieunternehmen die gleichen Möglichkeiten beim Zugang zu Fremdfinanzierungsmitteln?

Wolkenhauer: Kleinere und mittlere Unternehmen haben es etwas schwerer, weil bestimmte Banken oder auch Finanzierungsinstrumente eine gewisse Mindestgröße erfordern. Für diese Unternehmen gilt es ganz besonders, sich strategisch auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Also ihre Finanzierungsziele zu definieren und zu planen, wie sie zu erreichen sind. Außerdem ist es je nach interner Organisation nötig, den Finanzbereich personell mit der nötigen Fachexpertise auszustatten. Auf Dauer kann das die Buchhaltung oder das Controlling nicht „nebenher“ machen.

Wie kann die Politik die Energieunternehmen unterstützen? Zum Beispiel mit staatlichen Energiewende-Fonds?

Kittelberger: Besser als jede Finanzierungsunterstützung sind stabile politische und rechtliche Rahmenbedingungen, denn die anstehenden Investitionsentscheidungen sind langfristig. Ebenso wünschen wir uns attraktive wirtschaftliche Konditionen sowie das Verständnis dafür, dass mit der Energieversorgung und dem Betrieb von Energienetzen angemessene Erträge erwirtschaftet werden müssen. Denn die nachhaltige Ertragslage determiniert die Verschuldungsfähigkeit der Unternehmen.

Welche Rolle spielt die Regulierung, also die Verzinsung der Netzinvestitionen?

Kittelberger: Angemessene Renditen sind – auch im internationalen Vergleich – für Investitionen in Energienetze entscheidend. Gleichzeitig muss das gesamte Regulierungsregime von der bisherigen Anreizregulierung zu einer Transformationsregulierung umgestaltet werden. Genauer gesagt, hatten wir 16 Jahre lang eine Kostenoptimierungsregulierung. Künftig sollte sie stattdessen deutlich mehr Anreize für Energieversorger schaffen, in Stromnetze zu investieren, um den durch EE-Anlagen eingespeisten Strom ohne Engpässe zu den Verbrauchern bringen zu können, und von Erdgas auf Wasserstoff umzustellen. Sie sollte das Gesamtenergiekonzept für ein Versorgungsgebiet regulatorisch unterstützen. Eine schnellere Rückvergütung für Netze, die auslaufen, bringt die Unternehmen liquiditätsseitig in eine verbesserte Position. So können sie schneller wieder investieren.

Sind die Risiken der neuen Technologien und unsichere Renditen ein Hindernis für Kreditgeber?

Wolkenhauer: Nicht unbedingt – entscheidend ist ein ausgewogenes Investitionsverhalten. Es wird immer wieder vorkommen, dass sich neue technologische Pfade öffnen, politische Leitplanken neu austariert werden und Markteinschätzungen revidiert werden müssen. Also: nicht sofort das Pulver komplett verschießen, sondern sorgfältig vorgehen, mit angemessenem Tempo umsetzen und die Investitionsszenarien regelmäßig überprüfen. Viele Partnerunternehmen nutzen dafür bereits ein Beratungsangebot der Thüga: das Finanzmodell „Langfristige Unternehmenssimulation“.

Ist die Pflicht zur Offenlegung von ESG*-Kriterien (Environmental, Social and Corporate Governance) – Stichworte CSRD** (Corporate Sustainability Reporting Directive) und EU-Taxonomie – Fluch oder Segen?

Wolkenhauer: Das ist eine komplexe Aufgabe, die auch die künftigen Beziehungen zu Fremdkapitalgebern und Gesellschaftern signifikant beeinflussen wird. Die Vorbereitungen laufen bei Thüga und sehr vielen Partnerunternehmen auf Hochtouren. Das politische Ziel hinter den umfangreichen Regelungen besteht letztlich darin, Kapitalströme möglichst in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken.

Welche Rolle spielt Thüga vor dem Hintergrund der Finanzierungsthematik als Gesellschafterin bei 100 Stadtwerken?

Kittelberger: Als Gesellschafterin werden wir unseren Beitrag zu einer angemessenen Kapitalausstattung der Beteiligungen leisten. Im Vorfeld erwarten wir, dass diese ihre Investitions- und Finanzierungspläne sorgfältig und langfristig aufstellen und mit uns sowie weiteren Gesellschaftern und Banken besprechen. Die Kapitalaufnahmefähigkeit der Thüga hängt wiederum von stabilen und planbaren Beteiligungsergebnissen ab. Damit unsere Partnerunternehmen diese erreichen, unterstützen wir sie: über technischenergiewirtschaftliche Transformationsprojekte sowie Projekte zur Weiterentwicklung der Strom- und Gasnetze. Das ist elementarer Bestandteil des Thüga-Geschäftsmodells.

*ESG: Environmental, Social and Corporate Governance

**CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive

Dieses Interview ist ein Beitrag im Thüga-Jahresbericht 2023. Zum Download des gesamten Berichts geht es hier.