Ein neues Buzzword elektrisiert die Energiebranche: Fulfillment. Gemeint ist ein Geschäftsmodell außerhalb des Kerngeschäfts von Gas, Wasser und Strom. Für Stadtwerke ergeben sich daraus vielfältige Ansätze für Non-Commodity-Aktivitäten.

Das Kerngeschäft von Energieversorgern ist rückläufig. Sie müssen sinkende Erlöse durch andere Dienstleistungen kompensieren. Zwei Wertschöpfungsmodelle kommen für Thüga-Partnerunternehmen in Frage: Kooperation mit dem regionalen Handwerk oder Aufbau eigener Handwerkskapazitäten. Das Engagement im neuen Lösungsgeschäft lohnt sich. Denn durch es werden Kund:innen gebunden.

Bislang endete das Geschäft der Energieversorger vor der Haustür ihrer Kund:innen. Mit Fulfillment wollen sie ihre Dienstleistungen auch in oder auf ein Gebäude ausweiten. Die Gründe sind vielfältig, erklärt Georg Münnich vom Thüga-Kompetenzcenter Markt. „Das Kerngeschäft ist rückläufig, Energieversorger müssen die sinkenden Erlöse durch andere Dienstleistungen kompensieren.“ Da die Zeichen auf eine lokale und nachhaltige Energieversorgung stehen, sind dezentrale Lösungsansätze das Gebot der Stunde. Also: Kund:innen dabei zu unterstützen, ihre Photovoltaikanlage aufs Dach oder ihre Wallbox in die Garage zu bekommen, oder sie bei Schadengutachten oder Thermografie zu beraten. Wie aber kann das funktionieren? Schließlich sind Mitarbeiter:innen eines Stadtwerks keine Heizungsmonteure oder Photovoltaik-Spezialisten. Der wachsende Fachkräftemangel trägt dazu bei, sich nach alternativen Lösungen umzuschauen.

Neue Player konkurrieren

„Es gibt unterschiedliche Wertschöpfungsmodelle, die Energieversorger verfolgen können“, sagt Münnich. „Alle haben Vor- und Nachteile.“ Sich damit zu beschäftigen, kann der erste Schritt zum Einstieg sein. Denn der Markt hat ein immenses Wachstumspotenzial. „Wenn wir es als Stadtwerke versäumen, uns mit entsprechenden Angeboten zu etablieren, nehmen uns andere Player am Markt diesen Kuchen weg.“ Zwei Modelle kommen für die Thüga-Partnerunternehmen in Frage:

  1. Ein Kooperationsmodell mit dem regionalen Handwerk
  2. Der Aufbau von eigenen, regionalen Handwerkskapazitäten

Win-Win-Situation durch Kooperationen

Die badenova hat sich für ein Kooperationsmodell mit dem Handwerk vor Ort entschieden: Diese Strategie heißt energiewende@home. Sie bringt Kundschaft, Partner, lokales Handwerk und intelligente Energielösungen der Unternehmensgruppe zusammen. Während sich der Energieversorger um Akquise, Erstberatung und Administratives wie Angebotserstellung und Projektsteuerung kümmert, können sich die Handwerker auf die praktische Umsetzung konzentrieren. „Die badenova ist sehr zufrieden mit dem Modell“, sagt Münnich. „Und auch die Handwerker profitieren von der starken Marke und vom Kundenzugang der badenova. Eine klassische Win-Win-Situation also.“

Handwerker:innen für die evm

Die Energieversorgung Mittelrhein (evm) hat dagegen schon 2020 mit der evm service GmbH ein eigenes Handwerkunternehmen gegründet. Stand heute sind über 50 Mitarbeiter:innen angestellt. „Diese machen alles, was Fulfillment umfasst“, sagt Münnich. „Von der Beratung und Installation bis hin zum Service.“ Bisherige Bilanz: Die installierte Leistung an PV-Anlagen und Heizungssystemen wächst kontinuierlich.

Welches Modell kommt in Frage

Jedes Partnerunternehmen muss also für sich selbst entscheiden, ob Fulfillment für es in Frage kommt und wenn ja, in welcher Form. Um eine Strategie zu entwickeln, sollten Stadtwerke sich konkret vier Fragen stellen:

  1. Wie bin ich personell aufgestellt?
  2. Welches Know-how ist vorhanden?
  3. Welche Produkte und Lösungsvorschläge will ich anbieten?
  4. Wie organisiere ich die Wertschöpfung und an welcher Stelle machen Kooperationen Sinn?

Kommunikation auf Augenhöhe

Ein Engagement im neuen Lösungsgeschäft lohne sich in jedem Fall, meint Münnich: „Mit den Dienstleistungsangeboten für Energieberatung, der Installation von Photovoltaik oder Wallboxen werden Kund:innen gebunden.“ Entscheidet sich ein Stadtwerk für das neue Lösungsgeschäft, ist Fingerspitzengefühl gefragt: „Transparente Kommunikation mit den Handwerksbetrieben auf Augenhöhe ist das A und O“, so der Thüga-Experte. Zusätzlich müssen die Innungen in den Kooperationsprozess eingebunden werden, um Verständnis für das neue Modell des Stadtwerks zu wecken.

Dienstleistungen bekannt machen

Hat sich ein Stadtwerk für ein Modell entschieden, ist Werbung für eine Lead-Generierung wichtig. „Stadtwerke haben in der Regel bis dato keine Heizungen eingebaut oder Photovoltaik installiert und müssen ihre neuen Dienstleistungsangebote erst einmal bekannt machen“, erklärt Münnich. Mit energie schwaben läuft dazu derzeit ein größeres Projekt. Das Ziel: eine Roadmap 2030 für den strategischen Ausbau des Lösungsgeschäfts auszuarbeiten, in der sich der Regionalversorger insbesondere für PV und Wärmepumpe als Allround-Versorger etabliert.

Dieser Artikel ist ein Beitrag im Thüga-Jahresbericht 2023. Den gesamten Bericht finden Sie hier zum Download.