Fernwärmenetze sind im Zuge der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung stark im Kommen. Warum sie von Anfang an digitalisiert werden sollten.

Nur 14 Prozent aller Haushalte nutzten 2022 in Deutschland Fernwärme, vor allem in den Ballungszentren. Zur selben Zeit verließen sich rund die Hälfte der Haushalte in Sachen Wärme noch auf die direkte Belieferung mit Erdgas. „Der Erdgasanteil wird in den nächsten Jahren aufgrund der angestrebten Dekarbonisierung der Wärmeversorgung abnehmen“, sagt Johannes Wieser, Smart-Metering-Experte im Thüga-Kompetenzcenter Netze. Der konsequente Ausbau von Wärmeverteilnetzen könnte das kompensieren, auch was die Ertragssituation der Thüga-Partnerunternehmen angeht. Wieser: „Und wer die Investitionen für den Neubau anstößt, sollte die Möglichkeiten der aktuellen Zählertechniken von Anfang an mitberücksichtigen. Im Niederspannungsnetz waren die Stromversorger lange eher im Blindflug unterwegs. Das ist bei den Wärmenetzen eine vergleichbare Situation.“ Auch Versorgungsleitungen für Heißwasser oder Wasserdampf wurden auf Basis von Schätzungen auf erwartbare Lastspitzen und Lastzunahmen hin- ausgelegt. Doch eine Überdimensionierung auf Verdacht kann sehr teuer sein. Das betrifft sowohl die Investitions- als auch die späteren Betriebskosten. „Mit den modernen Zählern können wir deutlich leichter mehr Daten ermitteln. Damit können wir Ausbau und Betrieb auf völlig neue Beine stellen“, so Wieser.

Von einmal im Jahr zum Datenpool

Bis Ende 2026 sollen alle installierten Zähler fernauslesbar sein. „Allein mit dieser Funktion ergibt sich die Chance, statt der bislang einmal jährlich bestimmten Jahresgesamtmenge an Wärme ein feines Muster von tages- oder sogar stundengenauen Gesamtverbräuchen zu erhalten“, erklärt Wieser. Dazu lassen sich zum Beispiel Angabenzu Vor- und Rücklauftemperaturen ermitteln. Darüber erfahren die Versorger, wie viel Wärme tatsächlich wann benötigt wird. Wieser: „Die Daten zu erheben, ist allerdings nur die erste Stufe. Noch wichtiger ist es, in Arbeitskräfte zu investieren, um Schlüsse aus den Daten zu ziehen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse dann auch noch ins Feld zu bringen, geht nur, wenn alle Beteiligten sich intensiv austauschen“ – zum Beispiel über Foren wie den Wärme-Workshop der Thüga vom April 2024.

Foto:iStock; Ingenieur bei Check einer Anlage

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Zunahme der Komplexität

Die Wärmenetze der Zukunft werden aller Voraussicht nach äußerst komplex sein. Statt eines zentralen Wärmeerzeugers werden unterschiedliche Wärmequellen wie Solarthermie und Tiefengeothermie oder Erzeuger wie Biomassekessel und Wärmepumpen für Wärme im Netz sorgen. „Auch der ein oder andere Industriebetrieb, der Abwärme aus Produktionsprozessen loswerden will, wird dabei sein“, sagt Anna Vannahme, bei der Thüga zuständig für Netzstrategie. „Durch eine klare Datenlage und eine übergreifende Vernetzung können, indem sie dafür sorgen, dass die für die Grundlast zuständigen Anlagen zuverlässig im optimalen Bereich laufen, die für Spitzenlasten vorgesehenen Systeme nur gezielt einspringen und überschüssige Wärme in Speichern kurzfristig gepuffert wird.“

Große Einsparungspotenziale

„Betriebskosten können zum Beispiel durch Verbesserungen an den Hausstationen der Wärmeabnehmer eingespart werden“, sagt Vannahme. Eine Studie in Schweden hat gezeigt, dass schon die Korrektur der schlechtesten Hausstationen im Netz große Effizienzgewinne bringen kann. Vannahme: „Mit einer flächendeckenden Digitalisierung der Wärmemengenzähler muss der Versorger nicht lange suchen, wo es etwas zu reparieren oder zu erneuern gibt.“ Auch das Absenken der Vorlauftemperatur könnte datengestützt große Einsparungen bringen. Wärme zu transportieren, ohne dass sie genutzt wird, ist Vergeudung, auf der Basis digitaler Datenerfassung zukünftig erkenn- und vermeidbare Verschwendung.

Digitalisierung der Wärmenetze: Wer profitiert wie?

Erzeuger
+ Höherer Wirkungsgrad durch bessere Planbarkeit
+ Optimale Steuerung der Vorlauftemperatur
+ Ermöglichung eines Mix aus Wärmerzeugungsarten
+ Kostenoptimierte Teilnahme am Strommarkt durch
Kraftwärmekopplungsanlagen und Großwärmepumpen
+ Erkennung und kurzfristige Speicherung von
Wärmeüberschüssen

Versorger/Netzbetreiber
+ Netze können zielgenauer ausgelegt werden
+ Passgenaue Tarife durch klare Datenbasis
+ Deutlich mehr Erzeuger können flexibel einspeisen
+ Mit der Differenzierung der Erzeugung schnellere Dekarbonisierung

Verbraucher
+ Kontinuierliche Information zum eigenen Wärmeverbrauch
+ Schnellere/vorausschauende Fehlerbehebung durch automatisierte Alarme

Insgesamt:
+ Deutliche Effizienzgewinne machen die Wärmeversorgung für alle günstiger