Die beiden neuen Vorstände der Thüga Aktiengesellschaft, Vorstandsvorsitzender Dr. Constantin H. Alsheimer und Finanzvorständin Anne Rethmann, sprechen im Interview über die Chancen und Herausforderungen, die vor der Energiewirtschaft liegen, über die Stärken der Partnerunternehmen und die Gestaltungsmöglichkeiten, die sich aus einer Organisationsform wie der Thüga-Gruppe ergeben können.

Herr Dr. Alsheimer, Sie kennen und begleiten die Thüga schon seit vielen Jahren und sind in der Thüga-Gruppe bestens vernetzt. Seit Januar 2024 sind Sie nun Vorstandsvorsitzender der Thüga. Wie beurteilen Sie deren Entwicklung in den vergangenen drei Jahren?

Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorsitzender des Vorstands der Thüga
(c) @astridobert.com

Hinter uns liegen drei extrem herausfordernde Jahre: zuerst die Corona-Pandemie, anschließend der russische Angriff auf die Ukraine. In dieser Zeit haben die Energiewirtschaft insgesamt und die Thüga mit ihren Partnerunternehmen im Besonderen so schnell und flexibel, wie es unter diesen dynamischen Rahmenbedingungen möglich war, reagiert und die Versorgungssicherheit durchgehend gewährleistet. Dabei haben sie eine rasante Lernkurve durchlaufen und einen enormen Digitalisierungsschub vollbracht. Die extremen Preisanstiege infolge des Gaslieferstopps durch Russland haben die Risikopositionen in den Unternehmen massiv verändert, auch darauf hat sich die Thüga-Gruppe hervorragend eingestellt. Und zuletzt hat die Umsetzung der staatlichen Preisbremsen für die IT und die Vertriebe der Energieversorgungsunternehmen eine große Kraftanstrengung bedeutet. Das alles hat Thüga, hat die Thüga-Gruppe, sehr gut gemeistert und wir blicken auf ein inhaltlich, operativ und wirtschaftlich erfolgreiches Geschäftsjahr 2023 zurück.

Frau Rethmann, Sie sind als ausgewiesene Finanzexpertin mit Erfahrungen aus der Gesundheits- und Mobilitätsbranche neu in die Thüga gewechselt. Seit Januar 2024 sind Sie Mitglied des Vorstands. Wie sehen Sie das Unternehmen wirtschaftlich aufgestellt?

Anne Rethmann, Finanzvorständin der Thüga (c) @astridobert.com

Wir sind trotz der genannten Herausforderungen hervorragend aufgestellt. Ja, wir sind gut durch die Energiekrise gekommen und haben in den letzten Jahren solide Ergebnisse erzielt. Durch die guten Erträge stellen wir eine Innenfinanzierung für die enormen Investitionen sicher, die für die Energiewende erforderlich sind. Der Thüga Holding-Konzern selbst hat ein Eigenkapital von rund drei Milliarden Euro; das bilanzielle Eigenkapital hat einen Anteil von 35 Prozent an der Bilanzsumme. Im vergangenen Geschäftsjahr 2023 wurde im Thüga Holding-Konzern ein adjusted EBIT von 389 Millionen Euro erwirtschaftet, 111 Millionen Euro wurden investiert. Die Leverage Ratio, also der Verschuldungsgrad, liegt mit 1,99 deutlich unter dem Zielwert von 3,0 – das sind in diesen Zeiten der Veränderungen bei den Investitionsfähigkeiten gute Ausgangsvoraussetzungen.

Herr Dr. Alsheimer, die Stadtwerke und Regionalversorger stehen vor vielfältigen Herausforderungen: Was sind die vordringlichsten Themen für die Thüga?

Klar ist: Ohne den Ausbau der Erneuerbaren gibt es genauso wenig eine Energiewende wie ohne die Netze, die diese Energien transportieren können. Diese wiederum müssen entsprechend für Strom und Wärme aus- und aufgebaut, Gasnetze wasserstofffähig gemacht werden. Ebenso wird ohne Kapital keine Energiewende stattfinden. Das alles muss parallel stattfinden. In der Thüga-Gruppe haben wir das nötige Know-how und die Erfahrung, um Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Mir ist wichtig zu betonen, dass bei alldem die Menschen im Zentrum stehen – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die all diese Themen umsetzen. Sie sind der Nukleus, ohne den wir nichts von alledem voranbringen können.

Frau Rethmann, Sie übernehmen bei der Thüga Verantwortung in einer Zeit, in der sehr viel Geld benötigt wird, um die Energieversorgung bis 2045 klimaneutral umzubauen. Wie können unsere Partnerunternehmen die massiven Investitionen stemmen?

Der BDEW schätzt, dass bis 2030 rund 600 Milliarden Euro an Investitionen für die Transformation des Energiemarkts nötig sind. Die Investitionen sind auf viele Schultern zu verteilen: auf die Unternehmen, auf die Eigen- und Fremdkapitalgeber und durchaus auch auf die Bürgerinnen und Bürger. Die Unternehmen müssen die Möglichkeiten der Innenfinanzierung ausschöpfen, sich aber auch fit für den Kapitalmarkt machen, um die Finanzierungsmöglichkeiten auszuweiten und zu stärken. Da bedarf es besonderer, verlässlicher regulatorischer Rahmenbedingungen, und natürlich auch Investitions- und Ertragsanreize. Außerdem fordert das Thema Nachhaltigkeit immer mehr Aufmerksamkeit, indem zum Beispiel die CSRD-Berichterstattung in den Unternehmen umgesetzt werden muss. Wir sind als Thüga dabei, diese Herausforderungen näher zu definieren und umzusetzen.

Herr Dr. Alsheimer, kleine Stadtwerke haben nur schwer Zugang zum Kapitalmarkt, sind für Fachkräfte weniger attraktiv und können Größenvorteile nicht realisieren. Haben diese Unternehmen langfristig noch eine Zukunft?

Ich glaube, dass jedes Unternehmen Skaleneffekte und Gemeinschaftsleistungen braucht, um wettbewerbsfähig zu sein. Ein Beispiel ist der Einkaufsverbund der Thüga, der den Partnerunternehmen jeglicher Größe – die ja oft der Kostenregulierung unterliegen – elementare Vorteile bringt. Auch die IT-Anforderungen für Abrechnung, sowohl im Netz als auch im Vertrieb, sind so gewaltig, dass nicht jedes Unternehmen diese allein stemmen kann. Deswegen ist die gemeinsame Gründung der Thüga-Abrechnungsplattform strategisch ein so wichtiger Schritt gewesen. Im Grunde stehen alle Stadtwerke vor riesigen Veränderungen. Auch die vermeintlich Großen, die – wenn man sich die Marktstruktur in Deutschland ansieht – im Vergleich zu dem einen großen Akteur, der über 50 Prozent Marktanteile hat, nicht wirklich groß sind.

Der Claim der Thüga lautet „Das große Plus der Gemeinschaft” – wie kann Thüga diesen zukünftig noch mehr mit Leben füllen?

Rethmann: Das große Plus der Gemeinschaft ist schon jetzt absolut spürbar. Wenn die Kolleginnen und Kollegen aus der Thüga und den Plusgesellschaften gemeinsam mit den Partnerunternehmen berichten, wie sie Projekte angehen und umsetzen – dann zeigt sich, dass ein unglaubliches fachliches und transformatorisches Know-how innerhalb der Thüga-Gruppe vorhanden ist. Dies stellt einen unschätzbaren Wert dar, und wenn wir gemeinsam alle Potenziale ausschöpfen, dann leben wir das große Plus im wahrsten Sinne des Wortes.

Alsheimer: Dem kann ich mich nur anschließen. In unserem Strategieprojekt werden wir über die kommenden Monate noch stärker herausarbeiten, an welchen Stellen wir näher zusammenrücken können und müssen, damit alle Unternehmen der Thüga-Gruppe so gewinnbringend wie möglich von dieser wertvollen Gemeinschaft profitieren können.

Frau Rethmann, zum ersten Mal in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte hat Thüga eine Frau im Vorstand. Wie werden Sie diese Rolle ausfüllen?

Ich bin dankbar, dass mir diese Rolle zufällt. Für mich ist es immer wichtig gewesen, dass wir Frauen sichtbar machen und die Chancengleichheit fördern, dass Frauen Führungspositionen übernehmen. Ich werde mich auch in der Thüga dafür einsetzen, dass wir gerade bei der Besetzung von Führungspositionen Wert darauf legen, dass Frauen eine Chance bekommen. Wir müssen die Energiewirtschaft attraktiv für Frauen gestalten. Ich habe außerdem selbst erlebt, dass Diversity Teams besser macht – und dass das Arbeiten in solchen Teams mehr Freude bereitet. Diversity ist für mich mehr als Frau und Mann, das hat auch mit Alter und Herkunft und fachlichen Qualifikationen zu tun, es geht um das Einbringen von unterschiedlichen Sichtweisen, Erfahrungen und Kompetenzen, um damit bessere Lösungen und Ergebnisse zu erzielen.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten an die deutsche und europäische Energiepolitik, welche wären das?

Rethmann: Einige meiner Wünsche habe ich bereits formuliert: stabile regulatorische Rahmenbedingungen, die Förderung von Investitionen und Schaffung von Anreizen, damit Unternehmen in diesen Zeiten auch investieren.

Alsheimer: Ich hoffe, dass wir möglichst viele marktwirtschaftliche Elemente in der Energiewirtschaft bewahren, weil ich an deren preisdämpfenden Effekt glaube. Denn ich bin der Auffassung, dass wir als Unternehmen auch immer eine Verantwortung für die Prosperität des Standorts haben. Auch der europäische Kontext ist wichtig für einen ausgleichenden Effekt auf die Preise. Generell sollte sich die Politik bei der Regelsetzung auf alle Komponenten des energiewirtschaftlichen Dreiecks fokussieren. Also neben der Versorgungssicherheit und der Umweltverträglichkeit auch auf die Wirtschaftlichkeit. Nur bei einer Harmonie dieses Dreiklangs bekommen wir nachhaltig die nötige Akzeptanz für die Energiewende. Und sie trägt auch dazu bei, dass wir mit Augenmaß vorgehen und unser demokratisches System stabil bleibt.

Rethmann: Mehr Transparenz und Kommunikation sind absolut wünschenswert. Es ist Auftrag der Politik, gesellschaftliche Entwicklungen verständlich und nachvollziehbar zu transportieren, und nicht Aufgabe der Servicehotlines der Stadtwerke, den Menschen die energiepolitischen Entscheidungen zu erklären. Die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg in die Transformation mitzunehmen, ist nicht leicht – Transparenz und Ehrlichkeit tragen entscheidend dazu bei, dass unser politisches wie gesellschaftliches System funktioniert und Vertrauen schafft.

Dieser Artikel ist im Jahresbericht 2023 der Thüga erschienen.

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