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Nach einem Verhandlungsmarathon ist das Bundeskabinett im Koalitionsausschuss am 28. März 2023 nun zu einer Einigung gekommen. Was bedeutet das für die deutsche Klimaschutzarchitektur? Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, anbei trotzdem meine erste Einordnung.
„Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden. […]. Zukünftig werden alle Sektoren aggregiert betrachtet. Wenn die Projektionsdaten in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zeigen, dass mit den aggregierten Jahresemissionen bis zum Jahr 2030 das Gesamtminderungsziel nicht erreicht wird, wird die Bundesregierung auf Basis der Vorschläge der maßgeblich für die Minderungsmengen der Sektoren verantwortlichen Bundesministerien Maßnahmen beschließen, die sicherstellen, dass das Minderungsziel bis 2030 dennoch erreicht wird.“
Zitat aus dem „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ vom 28. März 2023, Seite 2f.
Damit gibt die aktuelle Bundesregierung die Sektorziele, welche die Große Koalition 2021 unter Angela Merkel erst beschlossen hatte, wieder auf. Die Große Koalition musste damals die nationalen Klimaschutzziele aufgrund des wegweisenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz überarbeiten und anheben. Damals wurde der Begriff „intertemporalen Freiheitssicherung“ geprägt und die Bundesregierung hat den Expertenrat für Klimafragen ins Leben gerufen.
Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Koalitionsausschusses nun auf die Realität der kommunalen Energieversorger vor Ort, der Hausbesitzer und Autofahrer? Wird damit der Klimaschutz in Deutschland verzögert oder volkswirtschaftlich effizienter umgesetzt? Diese Fragen kann man nur beantworten, wenn man die deutsche Gesetzgebung im Kontext der EU-Gesetzgebung analysiert.
Die tatsächliche CO2-Minderung der einzelnen Sektoren und die Erreichung der Ziele werden seit Inkrafttreten des Klimaschutzgesetzes vom Umweltbundesamt und dem Expertenrat für Klimaschutz kontinuierlich überwacht. Wenn die Transformation – also die Treibhausgasminderung – in einem Sektor zu langsam voranschreitet, ist das jeweilige für diesen Sektor verantwortliche Ministerium verpflichtet, innerhalb von drei Monaten Sofortmaßnahmen zur Korrektur auf den Weg zu bringen. Die voraussichtliche Wirksamkeit der Sofortmaßnahmen wird vom Expertenrat für Klimaschutz anschließend bewertet.
Es zeigt sich, dass sowohl die Energiewirtschaft im Moment – trotz Energiekrise und temporärer Rückkehr der Kohleverstromung – als auch die Industrie ihre jeweiligen jährlichen Ziele für 2022 erreicht haben. Beim Verkehr und Gebäudesektor gibt es eine Zielverfehlung, die nach der aktuellen Gesetzeslage ein Sofortprogramm nach sich ziehen müsste. Diesen Schritt möchte die Ampel-Koalition nun verändern.
Mit dem Beschluss aus dem Koalitionsausschuss könnte man zunächst meinen, dass die Verfehlungen im Gebäude- und Verkehrssektor mit zusätzlichen Einsparungen in der Industrie und der Energieversorgung ausgeglichen werden könnten. Diese schnelle und einfache Schlussfolgerung wäre jedoch falsch, da sie die EU-Vorgaben für Deutschland außer Acht lässt.
In Europa wird die CO2-Minderung über den Emissionshandel und die Effort Sharing-Vorgaben umgesetzt. Während der EU-Emissionshandel ein EU-weites Instrument der CO2-Bepreisung ist, werden die Effort Sharing-Vorgaben für einzelne Länder erstellt. Wirtschaftlich besonders starke Länder müssen dabei bis 2030 mehr CO2 einsparen als wirtschaftlich schwächere Länder. Deutschland muss nun statt Minus 38% bis 2030 (Basis 2005) Minus 50% CO2 bis 2030 (Basis 2005) erreichen. Diese bereits beschlossene EU-Vorgabe muss allerdings noch in nationales Recht überführt werden. Nach unserer Einschätzung muss die Bundesregierung den CO2-Minderungspfad für Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft gegenüber den aktuellen Zielwerten daher noch einmal verschärfen. Dabei spielt es für die EU keine Rolle, ob die CO2-Emissionen auf nationaler Ebene gemeinsam oder getrennt überwacht werden.
EU-Emissionshandel | EU Effort Sharing | |
Betroffene Sektoren | Stromerzeugung
Fernwärme Großindustrie Luftverkehr & Schifffahrt |
Gewerbe – und Industrie (Mittelstand)
Verkehr (Diesel / Benzin) Wärme (Öl / Erdgas / Nahwärme) |
Altes EU-Ziel für 2030 von 2018 | Minus 43 % CO2 | Minus 30% CO2 |
Neues EU-Ziel für 2030 aus dem Green Deal | Minus 62% CO2 | Minus 40% CO2 |
Umsetzung in Deutschland | Verpflichtung der betroffenen Unternehmen zur Teilnahme am EU-Emissionshandel | Verpflichtung der Bundesregierung zur CO2-Minderung um bisher 38% und jetzt 50% |
Basisjahr aller CO2-Ziele ist 2005 Vereinfachte Zuordnung der Sektoren zu Emissionshandel und Effort Sharing |
Die Bundesregierung kann in diesem EU-System nur zwischen den Sektoren Gebäude, Landwirtschaft und Verkehr Emissionen verschieben. Eine deutliche CO2-Minderung in der Landwirtschaft ist nicht zu erwarten. Damit wird es auf einen Ausgleich zwischen Gebäude bzw. Hauseigentümern und Verkehr bzw. Autofahrern hinauslaufen müssen. Je nach CO2-Minderungskosten kann das volkswirtschaftliche Vorteile bringen. Beide Sektoren sind im Moment allerdings nicht auf dem Zielpfad.
Wenn Deutschland die jährlichen Effort Sharing-Vorgaben aus Brüssel verfehlt, sind Ausgleichszahlungen an EU-Länder fällig, die ihr nationales Ziel aus der EU Effort Sharing-Verordnung übererfüllen. In der Vergangenheit sind aufgrund dessen bereits Gelder von Deutschland nach Bulgarien, Tschechien und Ungarn geflossen. Diese Ausgleichszahlungen helfen anderen EU-Ländern bei der Dekarbonisierung. Gleichzeitig wird der deutsche Steuerzahler, Hausbesitzer und Autofahrer doppelt belastet: Zum einen ist die Ausgleichszahlung an andere EU-Länder fällig, zum anderen müssen die Maßnahmen zur Dekarbonisierung in Deutschland trotzdem nachgeholt, umgesetzt und bezahlt werden.
Die Koalition hat mit der Entscheidung vom 28. März für die deutsche Klimaschutzgesetzgebung nicht viel gewonnen. Die Chance einer mehrjährigen und sektorenübergreifenden Gesamtrechnung liegt in der Entwicklung langfristiger und ausgewogener Vermeidungsstrategien, die jedoch schon heute möglich wären. Möglicherweise entstehen weitere volkswirtschaftliche Vorteile, weil Maßnahmen mit geringeren CO2-Vermeidungskosten unabhängig vom Sektor eher umgesetzt werden. Gleichzeitig kommt es wahrscheinlich zu einer schleichenden Verantwortungsdiffusion in den Ministerien. Einzelne Sektoren, wie beispielsweise der Verkehrssektor, könnten in Zukunft auf CO2-Minderungserfolge in anderen Bereichen spekulieren. Dabei ist laut Expertenrat in allen Sektoren schon heute und mit Blick auf 2030 ein „Paradigmenwechsel“ erforderlich.
In dieser Gemengelage erfordern die bereits beschlossene EU-Vorgaben eine Anhebung der Ziele für Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft. Es ist daher zu erwarten, dass in absehbarer Zukunft ein neuer Koalitionsausschuss gezwungen ist, Ziel und Maßnahmen mit deutlich mehr CO2-Minderungswirkung zu beschließen. Die Planungssicherheit nimmt ab, der Handlungsdruck nimmt zu – die Physik ist ein kompromissloser Verhandlungspartner.