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Unabhängig vom H2-Netzausbau sind gerade in der frühen Phase des H2-Hochlaufs Versorgungslösungen für Industrie und Gewerbe notwendig. In Südbaden gibt es zwei vielversprechende Projekte, die diese Herausforderung durch die Trailerbelieferung angehen – eine mögliche Blaupause für ganz Europa.
Wenn Günther Städler von seiner Dienstadresse im Lörracher Wiesenweg in Richtung Süden blickt, sieht er nach gut zwei Kilometern die Schweiz. Gen Westen über den Rhein sind es keine zehn Kilometer bis Frankreich. Um aber die nächste potenzielle Anschlussstelle an den Europäischen Wasserstoff-Backbone (EHB) sehen zu können, reckt der Geschäftsführer der Badischen Rheingas GmbH (BRG) – eines Tochterunternehmens der Badenova – vergeblich den Hals. Sie liegt, Luftlinie über 200 Kilometer nördlich, in Lampertheim bei Mannheim.
„Für zahlreiche Gewerbekunden hier in der Gegend ist das ein echtes Problem“, sagt Städler. Perspektivisch werden sie sich vom Erdgas als Energieträger verabschieden müssen. „Aber selbst für die Erdgasalternative Wasserstoff müssten sie eine Alternative finden – die es sinnvoll oft aber gar nicht gibt.“ Auch für die BRG sind das keine guten Aussichten. „Wir machen einen nicht zu unterschätzenden Teil unseres Geschäfts mit Flüssiggas.“ Anstatt mit Flüssiggas will die BRG ihre Kunden auch nach vollzogener Energiewende mit Gas versorgen. „Dann eben mit nicht fossilen Gasen wie grünem Wasserstoff.“
Städler zieht ein Foto auf den Bildschirm. Um eine große Lkw-Waschanlage, was man meinen könnte, handelt es sich dabei nicht. „Das ist eine Druckgasabfüllstation, um Wasserstoff mit bis zu 500 bar Druck in sogenannte Tube-Trailer oder Multiple-Element-Gas-Container-Sattelauflieger zu pressen.“ In einen 40-Fuß-MEGC-Auflieger passen rund 1.100 Kilo Wasserstoff. 33,33 kWh Energie stecken in einem Kilogramm Wasserstoff. Ein voll beladener Wasserstoff-Trailer kann also fast 37 MWh Energie transportieren.
Die Trailerbelieferung könnte eine wichtige strategische Lücke schließen“, sagt Philipp Kampmann von der Thüga H2-Plattform. Denn nicht alle Regionen in Deutschland sind im geplanten H2-Kernnetz berücksichtigt. Diese sogenannten „weißen Flecken“ ließen sich durch die Umstellung der heutigen Erdgastransport- und -verteilnetze mit Wasserstoff versorgen. Da dieser Prozess jedoch zeitlich nachgelagert zum Kernnetzausbau erfolgt, bieten Trailer eine Übergangslösung für die „letzte Meile“ zum Endkunden. Eine frühzeitige und flexible Versorgung per Trailer könnte zudem langfristige Standortentscheidungen beeinflussen und der Abwanderung von Unternehmen entgegenwirken, die auf eine zuverlässige Versorgung mit grünen Energien angewiesen sind. „Unternehmen mit hohem Energiebedarf könnten ihren Standort auch in der ,Post-Erdgas-Ära‘ beibehalten – wenn eine zuverlässige Wasserstoffversorgung gewährleistet ist“, erklärt Kampmann.
Ein weiterer Vorteil: Unternehmen können ihre Produktionsprozesse schrittweise auf Wasserstoff umstellen. „Die Umstellung muss nicht an die Ausbauplanung des Wasserstoffnetzes gebunden sein, sondern kann flexibel und bedarfsorientiert erfolgen“, sagt Kampmann. Dies ermöglicht es den Unternehmen, Investitionen zu strecken und frühzeitig Erfahrungen mit dem neuen Brennstoff sammeln. Ob die Versorgung per Trailer immer eine sinnvolle Option und dauerhafte Lösung ist? „In vielen Fällen wird die Trailerversorgung aus logistischen und Kostengründen vermutlich eine Übergangslösung zur leitungsgebundenen Versorgung darstellen. Das gilt insbesondere für Kunden mit sehr großen Mengenbedarfen.“
In Südbaden meint es mit der Trailerlösung nicht nur die BRG ernst. Erst im Juni hatte die Freiburger Infrastruktur-Trägergesellschaft mbH und Co. KG (ITG) im Rahmen des Projekts „Hydrogen Valley Südbaden“ vom Land Baden-Württemberg einen Förderbescheid erhalten, mit dem knapp acht Millionen Euro für Wasserstoffprojekte investiert werden können. „Mit dem Geld haben wir gut drei Jahre Zeit, ein regionales nach Frankreich und in die Schweiz reichendes H2-Schaufenster auf die Beine zu stellen“, erklärt ITG-Geschäftsführer Dieter Sommerhalter. „Wir wollen die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette vom Energie-Input über die H2-Produktion und die Verteilung bis zur Anwendung abbilden – und damit auch eine Blaupause für andere europäische Regionen liefern.“ Der Trailertransport gehört zu den Dreh- und Angelpunkten des Vorhabens.
Für die komplette Versorgung eines großen Industrieparks dürfte er wegen der benötigten Energiemengen wohl keine Option sein. „Aber viele andere Anwendungen sind geradezu prädestiniert für die Trailerversorgung.“ Energie für die Brennstoffzellen von Gabelstapler- oder Kehrmaschinen zum Beispiel oder die dezentrale (Not-)Versorgung von Mobilfunk- oder Netzersatzanlagen bis hin zu CO2-neutralen Festivalversorgungen. Im Fokus stehen ganz besonders aber Unternehmen, die bereits „heute“ auf Wasserstoff umstellen möchten – und erst „morgen“ an eine erdverlegte Pipeline angeschlossen werden können. Wird ein in Zukunft immer dichter werdendes H2-Verteilnetz die leitungsungebundene H2-Versorgung erübrigen? „Es wird immer genügend Kunden geben, zu denen sich der Bau einer Pipeline schlicht nicht lohnt“, verneint Sommerhalter. Er ist sich sicher: „Ohne die Trailerversorgung ist die komplexe Transformation der Energiesysteme definitiv nicht zu meistern.“