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Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, hat mit Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstands der Thüga, über die Bedeutung der Energie- und Klimawende gesprochen, die im Lichte der jüngsten Entwicklungen eine zusätzliche Dynamik erfährt.
Der ungerechtfertigte Angriff Russlands auf die Ukraine bringt unfassbares Leid und Zerstörung für die Menschen und das Land. Und gleichzeitig legt er schonungslos die Verwundbarkeit Deutschlands in Sachen Energieversorgung offen. Trotzdem sind unsere Klimaneutralitätsziele weder erpressbar noch verhandelbar. Es gibt hier eine große und umfassende Antwort. Das ist der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn auch wenn der Weg herausfordernd ist: Offshore-Windenergie, Onshore-Wind und Photovoltaik können im Endausbauzustand einen riesigen Anteil unseres Energiebedarfs decken. Der konsequente Ausbau sorgt also für Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Unabhängigkeit, weil wir nicht von den Rohstoffen Dritter abhängig sind.
Wir werden auf Dauer auch zusätzlich erneuerbaren Strom und erneuerbares Gas importieren müssen, damit wir das, was zur Versorgungssicherheit fehlt, auch abdecken können. Deshalb müssen wir unsere Energieimporte möglichst schnell diversifizieren, um die Erpressbarkeit durch einseitige Abhängigkeit einzelner Energielieferanten zu reduzieren. Das bedeutet, dass wir keine fossilen Investitionsruinen, sondern mit Green-Gas-Ready-Terminals eine Importinfrastruktur schaffen, die in Zukunft für den Import grünen Gases genutzt werden kann. Mit diesen geplanten Terminals, beispielsweise in Wilhelms-haven, verfolgen wir genau dieses Ziel und können so dazu beitragen, Deutschland und Europa angesichts der aktuellen Energiekrise schnell mit LNG und in wenigen Jahren bereits mit erheblichen Mengen grüner Energie aus Übersee zu versorgen.
Ich setze sehr stark auf Partnerschaft. Der Klimaschutz findet in besonderem Maße auf der kommunalen Seite statt. Manche Städte wollen 2030 schon komplett klimaneutral sein. Das ist eine Riesenherausforderung! Ein zentrales Element auf dem Weg dorthin ist eine intensive kommunale Wärmeplanung. Neben der Wärme sind die kommunalen Partner vor allem bei der Mobilität, bei den Erneuerbaren, bei der Integration von Photovoltaik die Umsetzer. Deshalb sind wir gerade dabei, Klima-Manager vor Ort stärker zu verankern.
In Niedersachsen bietet sich das Beispiel Harz Energie an. Dort hat man sehr früh auf den Aufbau eines 450-MHz-Funknetzes gesetzt, was sowohl für die Einbindung der intelligenten Messsysteme von Vorteil ist, als auch für eine sichere Kommunikation für die Verteilnetze. Oder BS|Energy in Braunschweig: Dort wird der Kohleausstieg umgesetzt und die künftige Versorgung über den Bau eines Biomasse-Heizkraftwerkes mit Altholz als Brennstoff sichergestellt. Und ein drittes Beispiel: Wasserstoff ist zurzeit in aller Munde. Wir treiben viele verschiedene Projekte voran wie etwa das Reallabor WESTKÜSTE100 in Heide: Hier planen zehn Konsortialpartner, eine regionale Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Es gibt bundesweit viele weitere Klimaschutz-Projekte, die von unseren Partnerunternehmen aktiv vorangetrieben werden.
Die Frage ist, wie wir es schaffen, in den Kommunen Investitionen in Klimaschutz vor Ort auszulösen und abzusichern – trotz angespannter
Haushaltssituation. Es wäre zum Beispiel klug gewesen, über die Anreizregulierung – Stichwort EK-Zins – noch höhere Investitionsanreize zu setzen. Zweitens: Wenn wir die Städte und Kommunen klimaneutral gestalten wollen, dann brauchen wir dafür in den Bau- und Genehmigungsbehörden qualifiziertes Personal. Das gilt für die Stadtwerke genauso. Und sie müssen in der Lage sein, dieses auch zu finanzieren.
Das ist meine große Sorge. Wir müssen den Menschen erklären, dass wir auf ein Zielszenario hinarbeiten, und darstellen, wie das Energiesystem funktioniert: dass wir aus der Kohle aussteigen und die Grundlast perspektivisch von den Erneuerbaren gedeckt wird. Und der Ausgleich über flexible, moderne Gaskraftwerke erfolgen wird.
2040 soll die gesamte Energie schon aus Erneuerbaren, also Wind und Sonne, kommen. Das sind enorme Dimensionen, die wir gerade in der Novelle unseres Klimaschutzgesetzes festschreiben. Da wir ein Land mit einer starken Industrie sind, brauchen wir 30 Gigawatt installierte Onshore-Windenergieleistung und 65 Gigawatt installierte PV-Leistung. 50 Gigawatt erzielen wir, wenn wir alle Dächer belegen. Das ist schon ein mutiger Ansatz, dafür muss es auch Anreize geben. Bleiben noch 15 Gigawatt, also mindestens 15.000 Hektar Freiflächen-PV. Zweitens müssen wir das Stadt-Land-Gefälle aufbrechen. Das heißt, wir brauchen eine stärkere Beteiligung der ländlichen Regionen an der Wertschöpfung. Mit den 0,2 Cent (Instrument zur finanziellen Beteiligung von Kommunen und Bürgern am Betrieb von Windenergieanlagen, Anm. d. Red.) haben wir einen ganz guten
Anfang gemacht. Aber das wird nicht ausreichen. Wir werden auch eine stärkere Beteiligung der Kommunen an der Windenergie ermöglichen müssen. Wir müssen also motivieren und mobilisieren durch Beteiligungen vor Ort, aber auch den Rücken gerade machen. Denn wir werden nicht 100 Prozent der Gesellschaft überzeugen.
Die Energiewende kann nur mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger gelingen. Als Stadtwerke haben wir eine starke kommunale und regionale DNA. Das hilft im direkten Kontakt mit den Menschen vor Ort. Es steht ja eine erhebliche Substitution der Ölheizungen an. Wärmepumpen haben ihre Existenzberechtigung, sie sind aber nicht die Lösung aller Probleme. Alle technologischen Lösungen, die auf die CO2-Einsparungen einzahlen, sind wichtig. Es gilt, Lösungen zu finden, die wirtschaftlich sind und zur Wärmewende beitragen. Diese sollten Politik und Energieversorger vernünftig kommunizieren. Das Stichwort Wärmepumpe hat in der Medienlandschaft an Fahrt aufgenommen. In der Koalitionsvereinbarung steht ein faktisches Verbot von fossilen Heizungen.
Wir sind uns mit der Bundesregierung einig, dass wir keinen neuen Bedarf an Erdgas wecken sollten. Wir müssen künftig alles so effizient wie möglich, also strombasiert, machen. Das ist bei neuen Gebäuden unproblematisch, diese werden auf Wärmepumpen ausgelegt sein. Bestandsimmobilien sind aber nicht ohne Weiteres auf Wärmepumpe umzustellen. Wir brauchen eine gesicherte Wärmeversorgung, dabei wird Gas weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen auch stärker im Quartier denken. Die Wärmeversorgung im Quartier kann auch mit effizienten Gassystemen laufen.
Die Grundversorger haben diese Kunden aufgefangen und mussten an den Großhandelsmärkten kurzfristig teure Energie nachbeschaffen. Diese Mehrkosten mussten sie teilweise in der Ersatzversorgung abbilden, um ihre Bestandskunden vor Preissteigerungen zu schützen. Ich hoffe da auf einen Umdenkprozess, sowohl bei Politik und Regulierungsbehörden, als auch bei den Betroffenen. Und ich sehe eine Chance für die Stadtwerke, mit ihrer Versorgungssicherheit zu punkten.
Lies: Ja, das ist ein schwieriges Thema. Denn im ersten Moment entsteht der Eindruck, als seien Klimaschutz und Energiewende verantwortlich für diese extremen Preissteigerungen, was ja nicht der Wahrheit entspricht. Die Frage ist: Wie konnten wir überhaupt in eine solche Situation geraten, mit derart leeren Füllständen der Gasspeicher in eine Wintersaison zu starten? Wir müssen alles tun, dass sich so etwas nicht wiederholt. Zweitens müssen wir nach Lösungen zur Diversifizierung suchen. Wir brauchen Gas, dürfen uns aber nicht abhängig von wenigen Lieferanten machen. Wir müssen die Debatte über andere Importquellen führen, auch LNG. Und wir müssen bei den Erneuerbaren vorankommen. Alles, was wir selbst erzeugen, ist kalkulierbar. Und wir dürfen den Blick für die Wirtschaft nicht verlieren. Die Stabilität der Energiepreise ist ein entscheidender Faktor für Investitionen in unserem Land.
Ich halte es für gut, dass die – sehr ambitionierten – Ausbauziele für die Erneuerbaren noch stärker in den Fokus gerückt sind. Dazu sind kürzere Genehmigungsverfahren elementar. Wir erleben eine Renaissance von Bioenergie, wobei wir uns einen stärkeren Fokus auf Biogas und Biomethan und deren Einspeisung ins Gasnetz wünschen. Auch die Abschaffung der EEG-Umlage halten wir für den richtigen Weg. Und was keinesfalls vergessen werden darf: der Verteilnetzausbau. Dafür brauchen wir adäquate Investitionsanreize. Hier setze ich die Hoffnung in die Bundesnetzagentur, die die Transformation der Energieinfrastrukturen stärker anreizen muss.
Ich teile die Ansicht von Herrn Riechel. Wir haben lange eine ideologische Debatte geführt. Jetzt müssen wir alles, was wir machen, daran messen, ob wir damit unsere Klimaziele erreichen. Gas ist da ein ganz zentraler Baustein. Man kann sich ja wünschen, dass es vollständig grün ist, aber wo sollen die Mengen herkommen? Wir brauchen eine technologieoffene Debatte entlang von wissenschaftlichen Daten und Fakten. Als aktueller Sprecher der Energieminister der Länder bin ich überzeugt, dass es eine enge Abstimmung der Länder mit dem Bund geben muss. Denn es gibt nicht 16 verschiedene Energiewenden in Deutschland, sondern eine. Ich bin sehr froh, dass der Koalitionsvertrag die Maßnahmen dafür konkreter macht. Mein Appell ist: kommunale Partner, Land und Bund müssen das gemeinsam angehen, dann haben wir eine große Chance. „Die Energiewende kann nur mit Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger gelingen. Als Stadtwerke haben wir eine starke kommunale und regionale DNA.“